Guter und kritischer Journalismus ist von zentraler Bedeutung für eine funktionierende Gesellschaft. Neben der Aufklärung der Öffentlichkeit, der Kontrolle von Macht bzw. jenen, die sie ausüben, fördert er im Idealfall gesellschaftliche Debatten, schützt vor Desinformation und autoritären Strukturen und trägt somit bei zu einer demokratischen und empathischen Gesellschaft.
Wir halten guten und verantwortungsbewussten Journalismus für unabdingbar, gerade wo es um Menschen geht, die besonderer Weise vulnerabel sind, wie dies etwa bei Betroffenen von sexualisierter Gewalt der Fall ist.
Leider ist die Berichterstattung in solchen Fällen häufig nicht am Wohl von gewaltbetroffenen Menschen orientiert, und so kann es im schlimmsten Fall zu erneuten Traumatisierungen kommen. Einige hilfreiche Handreichungen, wie sich dies vermeiden lässt, werden z.B. auf dieser Webseite der Unabhängigen Beauftragten genannt:
Tipps für Medien für eine betroffenensensible Berichterstattung
Erschütternderweise schrecken manche Formate unter dem Mantel des "investigativen Journalismus" nicht einmal davor zurück, von schwerster sexualisierter Gewalt betroffene Menschen ohne deren Wissen und Wollen zwangszuouten, wenn diese z.B. durch bestimmte Informationen aus ihrem persönlichen Umfeld leicht zu identifizieren sind. Höchst vulnerable Menschen werden so mit intimen Details und der Infragestellung ihrer Integrität in die Öffentlichkeit gezerrt - sie erleben traumatisierendes Ausgeliefertsein erneut und haben kaum die gesundheitlichen und finanziellen Ressourcen, sich dagegen zu wehren. Man sollte meinen: Journalismus, der in dieser Form "über Leichen geht", hat den Namen eigentlich gar nicht mehr verdient. Aber es gibt ihn - leider.
Und auch Fachleute und andere Personen, die Menschen mit sexualisierter Gewalterfahrung begleiten, sehen sich mitunter unfreiwillig hineingezogen in entsprechende mediale Berichterstattung. Im Kampf um Reichweite, Klickzahlen und Aufmerksamkeit sind nicht selten "Storys" zu finden, die mit hoher Emotionalität daherkommen, dabei aber grundlegende journalistische Regeln missachten.
So kann eine gewisse "Finte" unseriös agierender Medienschaffender darin bestehen, Fachpersonen mit ganz allgemein gehaltenen Anfragen für Interviews zu ködern, um sie dann im nachhinein (ggf. unter künstlich erzeugtem und völlig unnötigem Zeitdruck) mit unbelegten und rechtlich fadenscheinigen Anschuldigungen zu konkreten Einzelfällen ihrer Tätigkeit zu konfrontieren. Damit wird eine Art "Verhörsituation" erzeugt – quasi in Anmaßung der Rolle von Ermittlungsbehörden, nur ohne gesetzliche Grundlage und Rechte für die "Beschuldigten".
Dass die solchermaßen angegriffenen Personen sich insbesondere zu Fragen nach ihren Klient:innen aufgrund bestehender Schweigepflicht gar nicht äußern dürfen, wird geflissentlich übergangen. Stattdessen finden sie sich in der Geschichte dann eben ohne Möglichkeit der Klarstellung an den Pranger gestellt, ggf. sogar unter vollem Namen, was das Internet heutzutage kaum noch "vergisst".
Diese Art von negativer Verdachtsberichterstattung grenzt an öffentlichen Rufmord und verstößt natürlich gegen grundlegende journalistische Standards. Sie ist zudem in hohem Maße unethisch und wirkt toxisch auf verschiedensten Ebenen:
1. Sie schadet sie den Betroffenen, die hier mit ihrem Erleben erneut zum Objekt gemacht und missbraucht werden.
2. Sie verunglimpft diejenigen, die mit viel Engagement und Fachlichkeit helfen bzw. gute Hilfe in solchen Fällen generell voranbringen möchten.
3. Dadurch trägt sie zu Verunsicherung und Einschüchterung bei, so dass Menschen, die sich aus gewaltvollen Strukturen lösen wollen, noch weniger adäquate Hilfe finden.
4. Daneben verhindert sie mit aggressiver Verallgemeinerung auch eine sinnvolle Fehlerkultur in Forschung, Aufklärung und Versorgung – und damit den Schutz der Betroffenen vor tatsächlich unseriösen Angeboten, die es zweifellos gibt.
5. Schließlich leidet auch die an der Wahrheit orientierte, seriöse journalistische Arbeit als Grundpfeiler unseres Rechtsstaats insgesamt.
Aufklärung und Aufdeckung im Bereich sexualisierter Gewalt ist notwendiger denn je, wie u.a. Lagebilder der Polizei und Erfolge im Bereich von Internetkriminalität belegen. Berichterstattung, die Betroffene und Fachleute einschüchtert, weil sie fürchten müssen, selbst ins Kreuzfeuer reißerischer öffentlicher Kampagnen zu geraten, verhindern weitere Aufklärung. Wir sehen solche Phänomene mit Sorge und Befremden, lassen uns aber keinesfalls abschrecken von der wichtigen Aufgabe, eine sachliche, kritische und gleichzeitig am Leid gewaltbetroffener Menschen orientierte Auseinandersetzung mit dem Thema sexualisierter Ausbeutung voranzubringen.